Am 27.6.25 wurde der letzte Abiturjahrgang des G8 entlassen. Die Erleichterung und Freude waren groß, die Feier war schön. Wir werden euch vermissen!
Aus der Abiturrede
liebe Eltern und Angehörige,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
herzlich willkommen am Bayernkolleg!
Herzlich willkommen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten!
3 bis 7 Jahre am Bayernkolleg Augsburg liegen hinter Ihnen.
Heute gibt es die Abiturzeugnisse,
heute ist Ihr letzter Tag. Das soll gefeiert werden!
Seit rund drei Jahren haben Sie Ihre Schulzeit im neuen Gebäude verbracht, in diesem großzügigen, hellen und freundlichen Gebäude aus dem Jahr 1963. Sie sind hier ein und ausgegangen und haben im Vorbeigehen vielleicht die eine oder andere von künstlerischen Fliesen an der Wand wahrgenommen. Wie im letzten und vorletzten Jahr habe ich eine davon zum Ausgangspunkt der Abirede genommen.
Was sehen wir?
Es ist eine große Wandfliese aus rötlichem Ton umgeben von anderen Fliesen. Jede Fliese ist besonders, ein bisschen anders als die Fliese daneben. Die Oberfläche ist rau und nicht glasiert. Zwischen den Fliesen liegt immer eine graue Fuge.
Auf der zentralen Fliese sind vier Menschen abgebildet, die ein Schiff rudern. Unten Wellen, oben Himmel und vielleicht ein Segel. Rechts die Mauer eines Hauses, einer Burg oder einer Stadt.
Wir betrachten gemeinsam die Tonfliese. Da ist
Das Boot
Wasserfahrzeuge gibt es ja ziemlich viele: die Arche Noahs, die Barken auf dem Nil im alten Ägypten, die Ruder-schiffe der Griechen und der Römer, die Drachenboote der Wikinger, die Segelschiffe der großen Entdecker, die Einbäume, Kajaks und Kanus von Naturvölkern, die Titanic oder die Wilhelm Gustloff, die Schlauchboote von Greenpeace, Öltanker auf hoher See, kleine Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer.
Die Fahrt mit einem Schiff ist auch oft ein Bild für den Lebenslauf eines Menschen.
So schreibt Andreas Gryphius 1637 in seinem Sonett „An die Welt“:
Mein oft bestürmtes Schiff, der grimmen Winde Spiel,
Der frechen Wellen Ball, das schier die Flut getrennet,
Das über Klipp auf Klipp und Schaum und Sand gerennet,
Kommt … endlich im Hafen an. – Ich kürze ab.
Wir könnten an der Stelle viel Aktuelles über Zölle, über Drohnen am Himmel, über massive Drohungen und eine unsichere Weltlage sprechen. Mir geht es aber um den persönlichen Aspekt.
Dieses Schiff bei Gryphius braucht ein Steuer und es braucht jemanden, der es ergreift. Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, haben das getan. Sie haben irgendwann das Steuer ihres Lebens ergriffen ------ und sich am Bayernkolleg angemeldet!
Vier Menschen im Boot
Wer sind sie? Die Gesichter können wir nicht erkennen. Ihre Körper sind ähnlich, aber nicht gleich. Persönlichkeiten können wir jedenfalls nicht unterscheiden.
Sitzen wir vielleicht alle in diesem Boot? Sind alle da oder fehlt noch jemand? Kenne ich die anderen Menschen? Sind es Freunde oder Fremde? Und wie lange soll ich mit den anderen hier sitzen bleiben?
So eine Reise kann manchmal recht lange werden. Odysseus der Held Homers war insgesamt rund 20 Jahre unterwegs. 10 Jahre im trojanischen Krieg und dann nochmals 10 Jahre auf seiner abenteuerlichen Rückreise von Troja nach Ithaka.
Auf diesem Weg wurde er von einer Mannschaft begleitet, die viele der Abenteuer mit ihm erlebt haben: Stürme, Ungeheuer, Verwirrungen. Nicht alle Gefährten haben die Reise überlebt.
Sie wurden von Riesen gefressen, von Drogen um den Verstand gebracht oder gar in Schweine verwandelt. - Die Reise des Odysseus ist deshalb nicht nur die Geschichte eines individuellen Schicksals, sondern auch eine Erzählung von Verlust, Tapferkeit und der Bedeutung seiner Gefährten.
So heißt es, als Odysseus das Herz der schönen und gefährlichen Zauberin Kirke gewonnen hatte:
Kirke ... nahte sich mir, und sprach die geflügelten Worte: Warum sitzest du so wie ein Stummer am Tische, Odysseus, Und zerquälst dein Herz, und rührest nicht Speise noch Trank an? Ist dir noch bange vor Hinterlist? Du mußt dich nicht fürchten! Denn ich habe dir's ja mit hohem Eide geschworen!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte: Kirke, welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt, Hätte das Herz, sich eher mit Trank und Speise zu laben, Eh' er die Freunde gerettet, und selbst mit Augen gesehen? Darum, wenn du aus Freundschaft zum Essen und Trinken mich nötigst; Gib sie frei, und zeige sie mir, die lieben Gefährten!
Wie Odysseus waren auch Sie auf Ihrer Reise zum Abitur nicht alleine, sondern meistens begleitet von Gefährten. Bei der Notenverkündung hat sich gezeigt, wie wichtig es war, dass Sie die abenteuerliche Reise im Bayernkolleg nicht alleine angetreten haben. Sondern dass es in Ihrer Umgebung Gefährten gab, die Sie gestützt haben, wenn es eng wurde.
Das ist auch gut so, denn wir sitzen
Alle im selben Boot
Mit vielen anderen Menschen teilen wir uns den Platz zum Leben, teilen uns Ressourcen, Aufmerksamkeit, Pizza, Putzmittel, Wissen über die Welt, die Warteschlange vor dem Pausenverkauf, gemeinsame Erfahrungen.
Teil ihrer Erfahrung müsste es im Bayernkolleg geworden sein, dass von den Menschen, die einen umgeben, in der Regel niemand alles weiß. Dass vielleicht manche klüger sind als andere, aber dass es für alle von Vorteil ist, wenn man zusammen über Probleme redet und gemeinsam nach Lösungen sucht. Und das ist so, weil am Ende eben doch alle im selben Boot sitzen.
Die alten Griechen haben daraus und aus der Notwendigkeit, in einer Phalanx zusammenstehen zu müssen und nicht weichen zu dürfen, die Staatsform der Herrschaft des Volkes abgeleitet.
Wer sagt nun der Gemeinschaft in schwierigen Situationen, was getan werden soll?
Der Philosoph Karl Popper hatte eine sehr nüchterne Sicht der Demokratie. Er meint:
Die Frage, wer herrschen soll, ist falsch gestellt. Es genügt, wenn eine schlechte Regierung abgewählt werden kann. Das ist Demokratie.
Die Grundlage dafür sind individuelle Freiheit und Verantwortung, sind Kommunikation und Zusammenarbeit. Denn selten sind alle gleich geschickt oder gleich engagiert, nicht jeder ist der Schnellste, und die meisten können nicht gleichzeitig auch die Klügsten sein. Aber wir können gegenseitig unsere Schwächen ausgleichen.
Unterm Strich ist es die Fähigkeit zu Kommunikation und Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher Fähigkeiten und Meinungen, die über Jahrtausende den Unterschied gemacht hat. So wurde schon die eine oder andere Pyramide gebaut, so wurde die Enzyklopädie von Diderot und D’Alembert geschrieben und so wurde um 2020 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms abgeschlossen.
---- Natürlich war Ihre Kommunikation und Zusammenarbeit auch extrem wichtig für das Herrichten dieses Saals zur Verleihung der Abiturzeugnisse und für den Abiball.
Was kann man noch sagen?
Wir sehen
Himmel und Wasser
Wenn der Himmel bedeckt ist, sieht man nicht gut. Und wenn die Wellen hoch schlagen, kommt man einfach nicht gut voran. Da kann die Gemeinschaft auf dem Schiff noch so toll sein.
--- Lehrkräfte und Schule haben auch dann versucht, Sie zu unterstützen, wenn die Bedingungen für Sie nicht optimal waren. Wenn Sie sich schwer getan haben. Ich weiß, dass es allen Lehrkräften des Bayernkolleg ein Anliegen war, Sie soweit zu fördern, wie es überhaupt geht.
Auf der Fliese gibt es auch
Ruder und Segel
Nicht immer treibt einen ein leichter Rückenwind voran. Es ist zwar schön, wenn es mal so ist. Aber es ist schon ein Glücksfall.
In ähnlicher Weise war auf Ihrem Weg zum Abitur sicherlich nicht alles machbar. Das Vorwissen, die Rahmenbedingungen und die psychische Konstitution können günstiger oder weniger günstig sein.
Statt also ewig auf einen günstigen Wind zu warten, nehmen Sie lieber die Ruder in die Hand.
Jetzt sehen Sie den Erfolg Ihres Durchhaltevermögens.
Sie haben es geschafft!
Gemeinsam sind Sie mit Ihrem Jahrgang ins Ziel gerudert.
Heute bekommen Sie ihr persönliches Kapitänspatent.
Machen Sie etwas aus sich!
Machen Sie etwas aus der Welt!
Und geben Sie der Gemeinschaft etwas zurück!
Herzlichen Glückwunsch!
Dr. Oliver Killgus, 27.6.2025