„Was bewegt und inspiriert uns zum Schreiben?“ – dieser Frage sind die Schülerinnen und Schüler der E-Phasen im Laufe der letzten Monate im Rahmen des Sprachbegleitungskurses nachgegangen, und aus Antworten auf diese Frage sind verschiedenste Texte entstanden.
Eine tiefe und unerschöpfliche Inspirationsquelle können Werke von Dichtern und Schriftstellern sein, die uns zu einem ehrlichen Gespräch mit der Welt und sich selbst ermutigen – so war es mit Mascha Kalékos „Rezept“:
Und fragst du mich nach Ratschlägen,
so sage ich dir, ich habe keine.
Du bist so jung, der Kopf ist so voll
und die Welt so eigen.
Höre auf das, was man dir sagt.
Iss dein Tellerchen leer.
Du wirst groß und stark.
Sitz gerade und lerne fleißig.
Du wirst viel erreichen.
Höre auf dein Herz.
Brich die Uni ab.
Du wirst Künstlerin.
Fülle dein Leben mit Liebe.
Du wirst es neu aufbauen.
Höre die Klänge des Radios.
Stehe vom Schaukelstuhl auf.
Du wirst Besuch bekommen.
Iss ein Stück Lieblingskuchen.
Du wirst zufrieden sein.
Und fragst du mich nach Ratschlägen,
so sage ich dir, ich habe viele.
Aber sind sie von Bedeutung?
Das Leben ist doch so eigen.
anonym
eine Wahrheit
bleibt immer:
am Ende hast du nur dich allein.
du kannst lieben, kannst mögen und hassen.
aber lass andere nicht
regieren und herrschen
über das, was im Inneren lebt.
Familie, Freunde und Liebe
verlierst du im Laufe der Zeit.
aber sie bleiben für immer im Herzen
und das Herz bleibt immer in dir.
lieb, tanz, sing - genieß dein Leben
zu 100 Prozent.
sei ein bisschen naiv und sorglos.
sei einfach heiter, genieß dein Glück.
vergiss aber nicht:
reich und arm, krank und gesund
in Tränen, in Trauer, in der Wiege, im Grab
bleibt immer nur eine Wahrheit:
am Ende hast du nur dich allein.
Myroslava Vystorop, 1A
Einige Texte können uns die Kraft geben, die Grenzen unserer Welt zu überschreiten oder unsere Meinungen offen zu äußern, wie z. B. Bertolt Brechts „Wenn die Haifische Menschen wären“ und Peter Turrinis „Wenn mein Vater ein Kind wäre“:
Wenn Kolonialisten Raben wären, dann wären sie die stärksten Vögel der Welt. Sie würden jedes Nest ihr Zuhause nennen können. Wenn Kolonialisten Raben wären, würden sie sich als die absolut beste Vogelrasse sehen. Sie würden die Nester von Tauben und Spatzen rücksichtslos zerstören und stattdessen überall ihre eigenen bauen. Mindestens eine Taube würde sich trauen zu fragen: „Warum hast du mein Nest zerstört und dein Nest hier gebaut?“ Der Rabe würde sagen: „Tja, weil dieser Ort mir von meinem Uropa versprochen wurde.“ „Aber wo sind die Eier, die ich gelegt habe?“ würde die Taube besorgt fragen. Darauf würde der Rabe antworten: „Die habe ich anscheinend übersehen und weggeworfen.“ Wenn Kolonialisten Raben wären, dann wären sie nicht nur die eitelsten, sondern auch die barbarischsten Vögel der Welt.
Aseel Hadi, 1D
Wenn ich ein Vogel wäre, würde ich zurück nach Hause fliegen, dorthin, wo mein Herz geblieben ist. Ich würde einen schönen Baum finden und mir da ein kleines Nest bauen. Würde jeden Tag in mir schon längst bekannte Fenster schauen und hoffen, dass einmal jemand die schweren Gardinen öffnen würde. Bis dahin aber würde ich nur warten und mich einfach freuen, dass ich den gleichen Himmel wie vorher sehen kann. Ich würde gerne ein Vogel sein. Obwohl ich es leider nicht kann.
Myroslava Vystorop, 1A
Aber Inspiration und Wunsch zum Schreiben und Schaffen schenken uns nicht nur Dichter und Schriftsteller, sondern auch unser Leben selbst, dessen Augenblicke wir in uns tragen:
An einem sonnigen Tag habe ich beschlossen, statt zur Schule zu gehen, irgendwohin zu fahren, wo ich noch nie gewesen war. Ich hatte eine Flasche Wasser dabei, ein Buch, das mir mein Deutsch- und Geschichtslehrer geschenkt hatte, mein Handy und den Wunsch, etwas Neues zu sehen. Nachdem ich mit dem Zug an einem Ort angekommen war, dessen Name mir gefiel, ging ich spazieren. Ich sah nicht viele Fußgänger unterwegs, es war heiß. Nach einer gewissen Zeit kam ich zu einem Feld, das sich neben der Straße befand. Ein Weizenfeld, eine asphaltierte Straße und ein großer Baum – eine ungewöhnliche Komposition. Ich setzte mich in den Schatten des Baumes und begann, das Buch zu lesen. Die seltenen Autos, das Zwitschern der Vögel und das leise Rauschen des Windes, der über das Feld wehte, fügten sich zu einer unvergesslichen Symphonie. Ich fühlte den Duft der Freiheit, das Recht, in meinem noch nicht ganz unabhängigen Leben Entscheidungen zu treffen. Der Schatten des Baumes war eine Oase, die mich vor der Sonne, vor den Menschen und den unendlichen Pflichten schützte. Der Stamm war eine Stütze, an die ich mich nicht nur mit meinem Rücken, sondern auch mit meinem Bewusstsein anlehnte. Er diente als Versteck vor der Umgebung. Das Feld wiederum zeigte mir, wie groß die Welt ist. Sich nicht auf den Ort beschränken, an dem ich mich täglich aufhalte, sondern neue Orte erkunden. Sich nicht damit begnügen, was ich wusste, sondern etwas Neues lernen. In dieser Stimmung befand ich mich im Frieden mit mir selbst. Die Mischung aus Ruhe, unendlichen Möglichkeiten, der Verschmelzung von Mensch und Natur, innerer Harmonie und gleichzeitig Fremdheit von allem hatte ihren eigenen unvergesslichen Geschmack, an den ich mich immer noch erinnere.
Luka Kuzmenko, 1A
Ich stehe auf und da ist dieses Geräusch. Dieses Geräusch, das entsteht, wenn sich verschwitzte Haut von billigen weißen Plastikstühlen löst und nur rote Druckstellen zurückbleiben.
Und dann stehe ich da und sehe glänzende Gesichter und die glänzenden Gesichter sehen mich und ich umarme nasse Kleidung und ich schüttle feuchte Hände und ich hoffe, dass niemand den Herzschlag in meinen Fingerspitzen bemerkt.
Erleichterung erreicht mich in Form eines roten Bechers, den mir jemand in die Hand drückt. Ich trinke daraus, es schmeckt nach Pappe. Ich versuche, Gesprächen Sinn zu entnehmen, aber ich habe ihre Sprache verlernt.
Jenseits von Beton und Lärm vergeht die Zeit schneller. Die letzten Monate haben gereicht, um mich zu verwandeln. In einen freien Vogel, der auf alles und alle hier herabblickt. In einen Hund, der zu seiner Familie aufblickt, den Kopf schräg legt und versucht zu verstehen, ohne es je zu können.
anonym